Donnerstag, 15. August 2013


DIE GABE

Lewis Hyde beschreibt in seinem Buch ‚the gift’ (die Gabe) unter anderem die Bewegung und Zirkulation als Theorien des Gebens.
Bereits 1764 existierte der Begriff des ‚indischen Gebers’, der eine besondere oder andere Form des Besitzes implementierte. In der indischen Tradition heißt es: was auch immer uns gegeben wurde ist dazu bestimmt weiter gegeben zu werden und somit kein Besitz. Falls es jedoch behalten werden sollte, ist es üblich etwas Gleichwertiges einzutauschen. Erst dann ist ein Geschenk eine wahre Gabe. Das Wesentliche ist dabei die ständige Bewegung. Andere Formen des Besitzes stehen still oder markieren Grenzen - das Geschenk aber ist immer auf dem Weg. Der Gegensatz zum ‚indischen Geber’ wäre so etwas, wie der ‚weiße Besitzer’ (oder vielleicht ‚Kapitalist’). Dessen Instinkt ist es die Zirkulation zu durchbrechen; den Besitz in einem Warenhaus oder Museum zu präsentieren, oder ihn zur Produktion zu verwerten. 


THE KULA RING

Soulava – Ketten
Mwali - Armmuscheln


Das Geschenk ist nicht nur in Bewegung – es zirkuliert. Unter Volksstämmen wie die Kula ist die Form des Kreises in dem das Geschenk zirkuliert ethnographisch klar zu erkennen. Dieser Stamm lebt auf den Südseeinseln nahe der Ostspitze von Neuguinea. Diese praktizieren einen zeremoniellen Austausch, den Branislow Malinowski in seinem Buch  Argonauts of the Western Pacific beschreibt, nachdem er mehrere Jahre dort verbracht hat. Es existieren zwei zeremonielle Geschenke bei den Kula – Armmuscheln ‚Mwali’ und Ketten ‚Soulava’. Beide Schmuckstücke aus kegelförmigen und kleinen flachen roten Muschelscheiben zirkulieren auf den Inseln von Haushalt zu Haushalt. Dieser Gegenstand ist von sozialem Nutzen und  für die Kula die beliebteste Form der Stammeserzählung; so wird zu Hause berichtet wie es seinen Weg in das Haus fand, es wird den anderen präsentiert und überlegt an wen es weitergegeben werden soll.
Die Kula-Geschenke bewegen sich kontinuierlich in einem weiten Inselring des Massim-Archipels. Jedes reist kreisförmig. Die rote Muschelkette, als männlich betrachtet und von den Frauen getragen, wird im Uhrzeigersinn weitergegeben. Die Armmuscheln hingegen, mit weiblicher Bedeutung versehen und für die Stammesmänner bestimmt, zirkulieren gegen den Uhrzeigersinn. Diese Objekte werden mit dem Kanu von Insel zu Insel gebracht. Eine sehr gut vorbereitete, lange Reise, über hunderte von Meilen. In der Regel dauert es ungefähr zwischen zwei und zehn Jahren bis ein Objekt eine Runde auf den Inseln gedreht hat. Dieser Tausch lebt von der Ausgeglichenheit. Für eine Kette werden beispielweise Armbänder von demselben Wert gegeben. In demselben Moment oder ein zwei Jahre später. Diskussionen sind unüblich.
Wichtig dabei ist die Zirkulation zwischen mindestens drei Nachbarstämmen: so gibt man – würde man in einem Kreis stehen zum Zentrum blickend - die Schmuckstücke dem Partner zu seiner Rechten und erhält eine Gabe von dem Partner zu seiner Linken. So wird das Aufwiegen des Wertes vermieden. Diese Art des Austausches ist kein Tauschhandel. Dieser existiert unabhängig davon. Hierbei reden und diskutieren die Tauschpartner so lange, bis eine Balance gefunden wurde. Das Geschenk aber wird in Stille vergeben.
Der Sinn für Besitz ist bei den Kula sehr unterschiedlich zu den Europäern. Der soziale Code besagt, zu besitzen ist großartig. Reichtum ist die unabdingbare Abfindung des sozialen Ranges und ein Attribut persönlicher Tugend. Und wichtig ist: besitzen bedeutet zu geben. Dies unterscheidet die Kula deutlich von uns. Von einem Mann, der besitzt, wird natürlicherweise erwartet sein Besitz zu teilen und weiterzugeben. Er ist ein Treuhänder und Verteiler.


Hyde, Lewis (2007): The Gift. Creativity and the Artist in the Modern World. New York (5.Auflage)

veranlasst durch la italiano, getroffen am 14 August 2013
von freie.aktion.gesellschaft