‚ wir sollten unsere Gesellschaft anders
organisieren’
LEBENSBEISPIEL – IKARIA
Die Arbeitslosigkeit in Griechenland
hat ein Rekordhoch erreicht. In Athen lebt einer von drei Einwohnern offiziell
unter der Armutsgrenze. Jeder zweite junge Mensch ist arbeitslos. Die Stadt ist
geprägt von Misstrauen und sozialen Spannungen - Solidarität ist ein Fremdwort
geworden. Um sich selbst eine Perspektive zu schaffen, versuchen immer mehr
Griechen ihr Heil außerhalb der Städte und machen sich auf dem Land oder den
Inseln in der Ägäis selbstständig. Ein Ausweg aus einem System, das in sich
zusammengebrochen ist. Überleben à la Ikaria.
Die Dokumentation Kleines Land erregte meine Aufmerksamkeit, da sie nicht nur dem
langen Lebensalter, sondern auch alternativen selbstorganisierten Lebensformen
und dem Anspruch glücklich zu sein auf der Spur ist. Sie berichtet von der
kleinen bezaubernden Insel Ikaria, mitten im Ägäischen Meer, wo angeblich die
Menschen länger und glücklicher leben als sonst auf der Welt.
In Zeiten der Krise wie sie in
Griechenland verhaftet ist, stellt man sich die Frage was ist es, was die
Inselbewohner, die angeblich als faul gelten, Partys und kommunistische
Parteien mögen, so lange am Leben hält. Sind Solidarität, kontinuierliches
langsames Arbeiten, Feste, Tradition und nicht zu viel wollen – Aspekte eines
glücklichen Lebens? Die Lebensdauer der Griechen soll aufgrund der Krise um
fünf bis zehn Jahre sinken – während die Ikarioten 100 Jahre alt werden.
Ist der Schlüssel zu einem
glücklicheren Leben die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die einem Freiheit
gewährt?
Es heißt, auf der Insel wird einem
nichts geschenkt und wenn doch, dann nicht das, was man erwartet. Die Lebensart
der Ikarioten hat etwas von einem Tanz an sich. Wenn man die Schrittfolge
einmal gelernt hat, findet man seinen Platz und wird Teil der Gruppe. Sie
arbeiten hart und besitzen wenig. Es erscheint paradox – dieses schwere Leben
und die glücklichen Menschen darin. Sie nehmen sich nicht vor so lange zu leben
und geben sich mit den Dingen zufrieden, die ihnen als fundamental erscheinen.
Was wir bereits verloren haben.
Produktion eigener Nahrungsmittel und
Ausüben verschiedener Berufe. Alles das erlaubt ihnen beinahe autark zu leben.
Es gilt viele Fähigkeiten zu entwickeln. Hier stützt sich die Gemeinschaft auf
Eigeninitiative und Tauschhandel. So bezahlt man beispielsweise die Miete mit
Gartenarbeit oder Renovierungstätigkeiten. Das Leben wird in die Hand genommen.
Gehst du einer einzigen Arbeit nach, heißt das für die Ikarioten, dass du arm
bist.
‚Wenn
keine Kundschaft im Laden ist, dann hol ich Honig von meinen Bienen. Wenn es
keinen Honig gibt, dann mach ich Olivenöl. Wenn es kein Olivenöl gibt, dann bau
ich eben Gemüse an.’
Nach dem Krieg gab es kein Geld und
auch nichts was man sich hätte kaufen können. Man war auf sich alleine gestellt
und hatte sich selbst zu versorgen. Das Land wurde bestellt und Nahrungsmittel
eigens hergestellt. Diese Art zu Leben führen die Ikarioten bis heute fort. Die
Krise zeigt neue, andere Wege auf – auch ohne viel Geld auszukommen. So gilt es
jede Stunde vorauszuplanen, um alles schaffen zu können. Die Menschen haben
keinen acht Stunden Tag. Sie arbeiten langsam, aber stetig und zwar Tag
täglich. Es gibt keine logischen Arbeitszeiten. Oberflächliche Bedürfnisse
werden über Bord geworfen. Hier werden die Menschen nur körperlich müde.
Seelisch geht es ihnen gut, weil sie hinter dem stehen, was sie tun. Sie haben
Freude am Leben. Gibt es nicht genügend Arbeitskräfte, hilft ein Nachbar,
Freund, Verwandter oder Zugereister. Hilfe beruht hier auf Gegenseitigkeit. Auf
Ikaria hält man zusammen – Solidarität ist eine Überlebensstrategie. Die Leute
haben gelernt sich die Arbeit und die Früchte, die sie bringt zu teilen. Es gab
nie so etwas wie eine Klassengesellschaft. Alle waren gleich. Ging es einer
Familie schlecht haben alle mit angepackt. Landwirtschaftliche und soziale
Kooperativen unterstützen die Selbsternährung und erlauben es, Produkte dem lokalen Markt zur Verfügung zu
stellen. Zusammenarbeit, die vielleicht zu einer neuen Form gesellschaftlichen
Umgangs führen könnte.
Organisierte Spendensammlungen von den
Einheimischen, finanzieren notwendige Dinge, die der Staat nicht mehr leisten
kann – wie die Unterstützung der Schulen. Das Fest mit selbstangebautem Essen
lädt jeden Bewohner ein mitzumachen.
Den jungen Leuten wird die Vielfalt
nicht vorenthalten. Sie lernen einen Teil des Ganzen zu sein und können sich so
nützlich machen. Sie lernen, dass sie was leisten können und im Gegenzug von
den anderen Unterstützung bekommen. Viele lernten, man müsse nur einen Beruf
ausüben, um zu bestehen und sehen die anderen als Konkurrenten. Auf Ikaria ist
es genau das Gegenteil. Es ist unausweichlich von anderen abhängig zu sein. Der
Anspruch autonom und unabhängig leben zu wollen, ist ein großer und nur
gemeinsam zu schaffen. Solidarisch und mit gegenseitiger Unterstützung. Die
Beziehungen zu den anderen müssen auf Gegenseitigkeit beruhen.
Aufgeschlossenheit, Zusammengehörigkeitsgefühl und Genügsamkeit sind die
Kernelemente. Das ist das ganze Geheimnis. Es ist kein Ort an dem man bekommt,
was man will. Es ist ein Ort an dem man bekommt was man braucht, wenn man
herausfindet was das ist.
von freie.aktion.gesellschaft