Sonntag, 18. August 2013


‚ wir sollten unsere Gesellschaft anders organisieren’
LEBENSBEISPIEL – IKARIA

Die Arbeitslosigkeit in Griechenland hat ein Rekordhoch erreicht. In Athen lebt einer von drei Einwohnern offiziell unter der Armutsgrenze. Jeder zweite junge Mensch ist arbeitslos. Die Stadt ist geprägt von Misstrauen und sozialen Spannungen - Solidarität ist ein Fremdwort geworden. Um sich selbst eine Perspektive zu schaffen, versuchen immer mehr Griechen ihr Heil außerhalb der Städte und machen sich auf dem Land oder den Inseln in der Ägäis selbstständig. Ein Ausweg aus einem System, das in sich zusammengebrochen ist. Überleben à la Ikaria.
Die Dokumentation Kleines Land erregte meine Aufmerksamkeit, da sie nicht nur dem langen Lebensalter, sondern auch alternativen selbstorganisierten Lebensformen und dem Anspruch glücklich zu sein auf der Spur ist. Sie berichtet von der kleinen bezaubernden Insel Ikaria, mitten im Ägäischen Meer, wo angeblich die Menschen länger und glücklicher leben als sonst auf der Welt.
In Zeiten der Krise wie sie in Griechenland verhaftet ist, stellt man sich die Frage was ist es, was die Inselbewohner, die angeblich als faul gelten, Partys und kommunistische Parteien mögen, so lange am Leben hält. Sind Solidarität, kontinuierliches langsames Arbeiten, Feste, Tradition und nicht zu viel wollen – Aspekte eines glücklichen Lebens? Die Lebensdauer der Griechen soll aufgrund der Krise um fünf bis zehn Jahre sinken – während die Ikarioten 100 Jahre alt werden.
Ist der Schlüssel zu einem glücklicheren Leben die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die einem Freiheit gewährt?
Es heißt, auf der Insel wird einem nichts geschenkt und wenn doch, dann nicht das, was man erwartet. Die Lebensart der Ikarioten hat etwas von einem Tanz an sich. Wenn man die Schrittfolge einmal gelernt hat, findet man seinen Platz und wird Teil der Gruppe. Sie arbeiten hart und besitzen wenig. Es erscheint paradox – dieses schwere Leben und die glücklichen Menschen darin. Sie nehmen sich nicht vor so lange zu leben und geben sich mit den Dingen zufrieden, die ihnen als fundamental erscheinen. Was wir bereits verloren haben.
Produktion eigener Nahrungsmittel und Ausüben verschiedener Berufe. Alles das erlaubt ihnen beinahe autark zu leben. Es gilt viele Fähigkeiten zu entwickeln. Hier stützt sich die Gemeinschaft auf Eigeninitiative und Tauschhandel. So bezahlt man beispielsweise die Miete mit Gartenarbeit oder Renovierungstätigkeiten. Das Leben wird in die Hand genommen. Gehst du einer einzigen Arbeit nach, heißt das für die Ikarioten, dass du arm bist.
Wenn keine Kundschaft im Laden ist, dann hol ich Honig von meinen Bienen. Wenn es keinen Honig gibt, dann mach ich Olivenöl. Wenn es kein Olivenöl gibt, dann bau ich eben Gemüse an.’
Nach dem Krieg gab es kein Geld und auch nichts was man sich hätte kaufen können. Man war auf sich alleine gestellt und hatte sich selbst zu versorgen. Das Land wurde bestellt und Nahrungsmittel eigens hergestellt. Diese Art zu Leben führen die Ikarioten bis heute fort. Die Krise zeigt neue, andere Wege auf – auch ohne viel Geld auszukommen. So gilt es jede Stunde vorauszuplanen, um alles schaffen zu können. Die Menschen haben keinen acht Stunden Tag. Sie arbeiten langsam, aber stetig und zwar Tag täglich. Es gibt keine logischen Arbeitszeiten. Oberflächliche Bedürfnisse werden über Bord geworfen. Hier werden die Menschen nur körperlich müde. Seelisch geht es ihnen gut, weil sie hinter dem stehen, was sie tun. Sie haben Freude am Leben. Gibt es nicht genügend Arbeitskräfte, hilft ein Nachbar, Freund, Verwandter oder Zugereister. Hilfe beruht hier auf Gegenseitigkeit. Auf Ikaria hält man zusammen – Solidarität ist eine Überlebensstrategie. Die Leute haben gelernt sich die Arbeit und die Früchte, die sie bringt zu teilen. Es gab nie so etwas wie eine Klassengesellschaft. Alle waren gleich. Ging es einer Familie schlecht haben alle mit angepackt. Landwirtschaftliche und soziale Kooperativen unterstützen die Selbsternährung  und erlauben es, Produkte dem lokalen Markt zur Verfügung zu stellen. Zusammenarbeit, die vielleicht zu einer neuen Form gesellschaftlichen Umgangs führen könnte.
Organisierte Spendensammlungen von den Einheimischen, finanzieren notwendige Dinge, die der Staat nicht mehr leisten kann – wie die Unterstützung der Schulen. Das Fest mit selbstangebautem Essen lädt jeden Bewohner ein mitzumachen.
Den jungen Leuten wird die Vielfalt nicht vorenthalten. Sie lernen einen Teil des Ganzen zu sein und können sich so nützlich machen. Sie lernen, dass sie was leisten können und im Gegenzug von den anderen Unterstützung bekommen. Viele lernten, man müsse nur einen Beruf ausüben, um zu bestehen und sehen die anderen als Konkurrenten. Auf Ikaria ist es genau das Gegenteil. Es ist unausweichlich von anderen abhängig zu sein. Der Anspruch autonom und unabhängig leben zu wollen, ist ein großer und nur gemeinsam zu schaffen. Solidarisch und mit gegenseitiger Unterstützung. Die Beziehungen zu den anderen müssen auf Gegenseitigkeit beruhen. Aufgeschlossenheit, Zusammengehörigkeitsgefühl und Genügsamkeit sind die Kernelemente. Das ist das ganze Geheimnis. Es ist kein Ort an dem man bekommt, was man will. Es ist ein Ort an dem man bekommt was man braucht, wenn man herausfindet was das ist.
von freie.aktion.gesellschaft