KAFFEE
Orient und Okzident
Jemenitische Araber waren die ersten
die den Kaffeestrauch anbauten, die Bohnen rösteten, stampften und daraus einen
heißen, belebenden Aufguss zubereiteten. ‚Tintenschwarzes Wasser’ nennen ihn
Berichte vom 16. bis 19. Jahrhundert – die wertvolle Bohne taucht aber schon
in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf. Genannt ‚qahwa’, das ‚Berauschende’,
verwendeten bereits Sufi-Mönche das Getränk bei ihren nächtlichen ekstatischen
Gebeten. Neben Wein, Haschisch und Qat galt die Bohne als mild und diente der
Förderung der Denkfähigkeit. Diese Eigenschaft des gesteigerten Wachseins und
der Verdopplung des Verstandes lies Skepsis aufkommen, aufgrund der Angst der
Obrigkeit vor Unruhen. Bereits um 1500 entstehen die ersten Kaffeehäuser in
Mekka – auch ‚Schulen der Weisheit’ und ‚Schulen der Erkenntnis’ genannt. Dort
formierte sich eine Opposition von Kaufleuten und Gebildeten. Es wurde Kaffee
konsumiert und Ideen produziert. 1554 entsteht dann das erste Kaffeehaus in
Konstantinopel und das schwarze Genussmittel breitete sich in der gesamten
islamischen Welt aus. Der Aufstieg des Osmanischen Reiches ging einher mit dem
Siegeszug des Kaffees.
Der Kaffee spielt besonders in der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Europas eine historische Rolle. Das
osmanische System der Einherrschaft war geprägt durch ein Machtungleichgewicht,
einem Überschuss an Boden, Geld und Menschen in den Händen der Sultanfamilie. Das
Sultanat lies eine autonome Ökonomie und eine Selbstverwaltung der Städte nicht
zu. Jean Bodin beschrieb einst: ‚es gäbe nirgendwo in Europa eine solch
herrische Monarchie wie in der Türkei.’ So unterschieden sich die Städte des
Okzidents und Orients. Der europäische Absolutismus gewährte einen minimalen
Raum an Rechtssicherheit mit Eigentumsgarantie und Autonomie. Er war absolut,
aber nicht total. Im Gegensatz zum osmanischen System herrschte eine
Machtbalance der Klassen. Durch kleine Freiheitsräume im Handeln, Denken und
Fühlen, entstand der moderne
Mensch als rechtlich und politisches Subjekt. Die relative Autonomie fand man
damals in den Salons und Kaffeehäusern statt. Dort formierte sich die
adlig-bürgerliche Elite. Hier war die Stadt dem Hof überlegen.
Kaffeehaus und bürgerliche
Öffentlichkeit
In Europa kam das Interesse an dem
‚schwarzen, dicken und bitteren Heissgetränk’ erst ein Jahrhundert nach den
Türken auf. Der Okzident benötigte den Kaffee nötiger als je eine Zivilisation
zuvor. Mit der Machtverlagerung nach Westen ging die Verlagerung des Zentrums
der Nüchternheit einher. Nun wurde in Compagnien Kaffee und Tee zu sich
genommen und der Trinkzwang von Bier und Wein nahm in England, Deutschland und
Frankreich ab. Ludwig der XIV. entwickelte eine Vorliebe für alles
exotisch Chinesisches und Türkisches. Mitte des 17. Jahrhundert entstanden dann
in Venedig, Oxford und London die ersten Kaffeehäuser. Es folgten Amsterdam,
Marseille, Paris und Den Haag. In Deutschland eröffnete 1677 in Hamburg das
erste Kaffeehaus. Es folgten Wien, Nürnberg, Würzburg und Regensburg. Ausschließlich Ausländer waren
privilegiert auszuschenken, da sie Kenntnis des Kaffeesiedens besaßen und über die
notwendigen Handelsbeziehungen verfügten. Die Ausbreitung des Kaffees erfolgte
nach Geld und Geist. Im frühen 18. Jahrhundert begann die Epoche des Großen
Kaffeehauses. Es war eine bürgerliche Institution – ein kommunikatives Zentrum
des Bildungs- und Besitzbürgertums. Nachrichtenbörse, Kontor, Studierstube,
Spielsalon. Es verkehrten Kaufleute, Künstler und Gebildete – zuvor auch
Prostituierte und Gauner. Es konnte jeder eintreten, der eine Tasse Kaffee finanzieren konnte. Geburtsrechtliche
Privilegien hatten keinerlei Bedeutung. Das Kaffeehaus erneuerte den Begriff
der Öffentlichkeit. Ohne Trinkzwang, war es möglich Zeitung zu lesen, Geschäfte
abzuwickeln, mit anderen Nationen und Menschen zu debattieren und zu spielen. Neben
Kaffee wurde auch Branntwein ausgeschenkt und somit der Alkohol nicht ganz
verbannt. Die Getränke galten als soziales Schmiermittel und fanden neue, individuelle
Verwendung. Eine neue Art des Diskurses konnte entstehen, da der Umgang nicht
durch Rituale oder Zeremonien geprägt war. Das informelle Zusammentreffen bei
einer Tasse Kaffee war ein Gegenbild zur Trinkstube und zum höfischen
Zeremoniell. Ein Ort herrschaftsfreien Redens über Literatur, Politik und
Geschäft. Ein Ort verbaler, distanzierter und relativ formloser Kommunikation –
ein Labor der modernen inneren Disziplin. Im Laufe des 18. Jahrhundert entstand
der Kaffeeausschank für die unteren Schichten. Das Kaffeehaus blieb ein offenes
Haus , ein Lokal bürgerlicher Öffentlichkeit, wo das Bürgertum kommerziell wie kulturell
neue Formen entwickelt. Ständische, nationale und religiösen Barrieren wurden
außer Kraft gesetzt. Ende des 18. Jahrhunderts endete die Blüte der Kaffeehaustradition.
Das Kaffeehaus lehrte die Bürger und nun gab es durch die bürgerliche
Machtübernahme andere Dinge zu tun. Das Kaffeehaus wurde Literaten, Kurgästen
und Frauen überlassen. Kaffee verlor an Kostbarkeit. Das wachmachende
Getränk ist jedoch bis heute unentbehrlich.
Kaffee – bürgerliche Produktivkraft
Diese Bezeichnung nach Wolfgang
Schivelbusch macht dem Heissgetränk alle Ehre. Es steigert die Konzentration
und Gedankenschärfe, fördert die Wachheit und Daueraufmerksamkeit, vermehrt die
Zeit. William Harvey betrachtete 56 Pfund Kaffe als Quelle von Glück und Geist.
Die Londonder Kaffeehaus-Darstellungen erinnern daran: Zeit ist Geld. An den Kaffeehäusern
war eine riesige Uhr angebracht. Die künstlich erzeugte Wachheit des Kaffeetrinkers
sparte Zeit und erlaubte lange Arbeitstage – diese Gefährdung der Gesundheit
machte den Ärzten Sorgen. Gewichtabnahme und Verlust der Kräfte waren
Folgeerscheinungen. Der ‚Türkentrank’ machte blass und krank. Die Kaffeekritik
ging mit der Kritik des Fortschritts einher. Kaffee ersetzte die Vieltrinkerei. Galt
als neue Droge und Ausdruck eines neuen, geistigen, körperfeindlichen Prinzips.
Cornelis Bontekoe, ein Prediger des neuen Getränks, behauptete: der Nervenbahnensaft
könne frei fließen, der Mensch könne dadurch im nüchternen Zustand von einem
Vieh in einen vernünftigen Menschen verwandelt werden. Kaffe und Tee treiben
die Zirkulation der Säfte an. Halten die Maschine des Menschen in Gang.
U. Ball, Daniela (1992): Kaffee im
Spiegel europäischer Trinksitten; Zürich (Band 2)
veranlasst durch Ruby und Edualdo, getroffen am 18 August 2013
veranlasst durch Ruby und Edualdo, getroffen am 18 August 2013
von freie.aktion.gesellschaft