Mittwoch, 21. August 2013


KAFFEE
Orient und Okzident
Jemenitische Araber waren die ersten die den Kaffeestrauch anbauten, die Bohnen rösteten, stampften und daraus einen heißen, belebenden Aufguss zubereiteten. ‚Tintenschwarzes Wasser’ nennen ihn Berichte vom 16. bis 19. Jahrhundert – die wertvolle Bohne taucht aber schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf. Genannt ‚qahwa’, das ‚Berauschende’, verwendeten bereits Sufi-Mönche das Getränk bei ihren nächtlichen ekstatischen Gebeten. Neben Wein, Haschisch und Qat galt die Bohne als mild und diente der Förderung der Denkfähigkeit. Diese Eigenschaft des gesteigerten Wachseins und der Verdopplung des Verstandes lies Skepsis aufkommen, aufgrund der Angst der Obrigkeit vor Unruhen. Bereits um 1500 entstehen die ersten Kaffeehäuser in Mekka – auch ‚Schulen der Weisheit’ und ‚Schulen der Erkenntnis’ genannt. Dort formierte sich eine Opposition von Kaufleuten und Gebildeten. Es wurde Kaffee konsumiert und Ideen produziert. 1554 entsteht dann das erste Kaffeehaus in Konstantinopel und das schwarze Genussmittel breitete sich in der gesamten islamischen Welt aus. Der Aufstieg des Osmanischen Reiches ging einher mit dem Siegeszug des Kaffees.
Der Kaffee spielt besonders in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Europas eine historische Rolle. Das osmanische System der Einherrschaft war geprägt durch ein Machtungleichgewicht, einem Überschuss an Boden, Geld und Menschen in den Händen der Sultanfamilie. Das Sultanat lies eine autonome Ökonomie und eine Selbstverwaltung der Städte nicht zu. Jean Bodin beschrieb einst: ‚es gäbe nirgendwo in Europa eine solch herrische Monarchie wie in der Türkei.’ So unterschieden sich die Städte des Okzidents und Orients. Der europäische Absolutismus gewährte einen minimalen Raum an Rechtssicherheit mit Eigentumsgarantie und Autonomie. Er war absolut, aber nicht total. Im Gegensatz zum osmanischen System herrschte eine Machtbalance der Klassen. Durch kleine Freiheitsräume im Handeln, Denken und Fühlen,  entstand der moderne Mensch als rechtlich und politisches Subjekt. Die relative Autonomie fand man damals in den Salons und Kaffeehäusern statt. Dort formierte sich die adlig-bürgerliche Elite. Hier war die Stadt dem Hof überlegen.  


Kaffeehaus und bürgerliche Öffentlichkeit
In Europa kam das Interesse an dem ‚schwarzen, dicken und bitteren Heissgetränk’ erst ein Jahrhundert nach den Türken auf. Der Okzident benötigte den Kaffee nötiger als je eine Zivilisation zuvor. Mit der Machtverlagerung nach Westen ging die Verlagerung des Zentrums der Nüchternheit einher. Nun wurde in Compagnien Kaffee und Tee zu sich genommen und der Trinkzwang von Bier und Wein nahm in England, Deutschland und Frankreich ab. Ludwig der XIV. entwickelte eine Vorliebe für alles exotisch Chinesisches und Türkisches. Mitte des 17. Jahrhundert entstanden dann in Venedig, Oxford und London die ersten Kaffeehäuser. Es folgten Amsterdam, Marseille, Paris und Den Haag. In Deutschland eröffnete 1677 in Hamburg das erste Kaffeehaus. Es folgten Wien, Nürnberg, Würzburg und Regensburg. Ausschließlich Ausländer waren privilegiert auszuschenken, da sie Kenntnis des Kaffeesiedens besaßen und über die notwendigen Handelsbeziehungen verfügten. Die Ausbreitung des Kaffees erfolgte nach Geld und Geist. Im frühen 18. Jahrhundert begann die Epoche des Großen Kaffeehauses. Es war eine bürgerliche Institution – ein kommunikatives Zentrum des Bildungs- und Besitzbürgertums. Nachrichtenbörse, Kontor, Studierstube, Spielsalon. Es verkehrten Kaufleute, Künstler und Gebildete – zuvor auch Prostituierte und Gauner. Es konnte jeder eintreten, der eine Tasse Kaffee  finanzieren konnte. Geburtsrechtliche Privilegien hatten keinerlei Bedeutung. Das Kaffeehaus erneuerte den Begriff der Öffentlichkeit. Ohne Trinkzwang, war es möglich Zeitung zu lesen, Geschäfte abzuwickeln, mit anderen Nationen und Menschen zu debattieren und zu spielen. Neben Kaffee wurde auch Branntwein ausgeschenkt und somit der Alkohol nicht ganz verbannt. Die Getränke galten als soziales Schmiermittel und fanden neue, individuelle Verwendung. Eine neue Art des Diskurses konnte entstehen, da der Umgang nicht durch Rituale oder Zeremonien geprägt war. Das informelle Zusammentreffen bei einer Tasse Kaffee war ein Gegenbild zur Trinkstube und zum höfischen Zeremoniell. Ein Ort herrschaftsfreien Redens über Literatur, Politik und Geschäft. Ein Ort verbaler, distanzierter und relativ formloser Kommunikation – ein Labor der modernen inneren Disziplin. Im Laufe des 18. Jahrhundert entstand der Kaffeeausschank für die unteren Schichten. Das Kaffeehaus blieb ein offenes Haus , ein Lokal bürgerlicher Öffentlichkeit, wo das Bürgertum kommerziell wie kulturell neue Formen entwickelt. Ständische, nationale und religiösen Barrieren wurden außer Kraft gesetzt. Ende des 18. Jahrhunderts endete die Blüte der Kaffeehaustradition. Das Kaffeehaus lehrte die Bürger und nun gab es durch die bürgerliche Machtübernahme andere Dinge zu tun. Das Kaffeehaus wurde Literaten, Kurgästen und Frauen überlassen. Kaffee verlor an Kostbarkeit. Das wachmachende Getränk ist jedoch bis heute unentbehrlich.

Kaffee – bürgerliche Produktivkraft
Diese Bezeichnung nach Wolfgang Schivelbusch macht dem Heissgetränk alle Ehre. Es steigert die Konzentration und Gedankenschärfe, fördert die Wachheit und Daueraufmerksamkeit, vermehrt die Zeit. William Harvey betrachtete 56 Pfund Kaffe als Quelle von Glück und Geist. Die Londonder Kaffeehaus-Darstellungen erinnern daran: Zeit ist Geld. An den Kaffeehäusern war eine riesige Uhr angebracht. Die künstlich erzeugte Wachheit des Kaffeetrinkers sparte Zeit und erlaubte lange Arbeitstage – diese Gefährdung der Gesundheit machte den Ärzten Sorgen. Gewichtabnahme und Verlust der Kräfte waren Folgeerscheinungen. Der ‚Türkentrank’ machte blass und krank. Die Kaffeekritik ging mit der Kritik des Fortschritts einher. Kaffee ersetzte die Vieltrinkerei. Galt als neue Droge und Ausdruck eines neuen, geistigen, körperfeindlichen Prinzips. Cornelis Bontekoe, ein Prediger des neuen Getränks, behauptete: der Nervenbahnensaft könne frei fließen, der Mensch könne dadurch im nüchternen Zustand von einem Vieh in einen vernünftigen Menschen verwandelt werden. Kaffe und Tee treiben die Zirkulation der Säfte an. Halten die Maschine des Menschen in Gang. 


U. Ball, Daniela (1992): Kaffee im Spiegel europäischer Trinksitten; Zürich (Band 2)

veranlasst durch Ruby und Edualdo, getroffen am 18 August 2013
von freie.aktion.gesellschaft