Freitag, 23. August 2013

DIE GABE 

In Rechtssystemen, die den heutigen Rechtssystem vorausgegangen sind, entdeckt man fast nie den  bloßen Austausch von Gütern, Reichtümern und Produkten zwischen zwei Personen. Ein Austausch von Produkten findet zwischen Sippen und Familien statt, also zwischen Kollektiven. Die bei dem Handel beteiligten Personen sind sich moralisch verpflichtet. Leistung und Gegenleistung passieren vor allem durch Geschenke und Gaben. Diese sind jedoch obligatorisch und können bei nicht erbringen zu Krieg führen. Solche Systeme werden nach Mauss „Systeme der totalen Leistung“ genannt. Eine Form der „totalen Leistung“ ist die „Polatsch“, die von Indianerstämmen im nordwesten Amerikas praktiziert werden. „Polatsch“ bedeutet so viel wie ernähren bzw. verbrauchen.

Zwei Elemente hat die „Polatsch“ inne. Zum einem das Reichtum, Ehre und Prestige verleiht und zum anderen, dass eine Gabe verpflichtend erwidert werden muss. Ein Kind, als natürliche Bindung zwischen zwei Familien, ist ein Mittel, dass Güter gegenseitig ausgetauscht werden. Hierbei werden zwischen zwei Arten von Gütern unterschieden. Die Aloa und die Tonga.
Die Tonga erben die aus einer Ehe hervorgegangene Mädchen. Es sind oft Schmuckstücke, Talismane, Brautmatten, die über die Frau wieder in die neu gegründete Familien vererbt werden. Es sind unbewegliche Eigentümer. Die Aloa ist der spezifische Eigentum des Ehemanns. Es ist Eigentum, dass getauscht werden kann, was reich macht und zu Ansehen verhelfen kann. Dieses Eigentum kann auch als beweglich bezeichnet werden.

Der Begriff Tonga taucht jedoch auch in anderen Volksstämmen auf und kann gemein als Eigentum bezeichnet werden. Die Tonga ist in den Vorstellungen der Maori sehr eng mit der Person, dem Clan, dem Boden verknüpft. Sie ist Träger einer geistigen Kraft, eines manas.

Ein Beispiel für die geistige Wirkungskraft eines Tongas:

Ein streng persönliches Eigentum wird von Person eins an eine Person zwei gegeben, der dieses wieder an eine dritte Person weitergibt. Die dritte Person gibt der Person zwei dafür ein anderes Tonga als Gegenwert. Die Person zwei ist durch die geistige Kraft des Eigentums gezwungen, diese Sache an die Person eins abzugeben, weil die neue Sache ein Produkt der geistigen Kraft des Tonga ist.

„Also, das was in dem Empfangenen oder Ausgetauschten verpflichtet, kommt daher, dass die emfpangene Sache nicht leblos ist. Selbst wenn der Geber sie abgetreten hat, ist sie noch ein Stück von ihm. Durch sie hat er Macht über den Empfänger, so wie er durch sie, als Eigentümer, Macht über den Dieb hat."


Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, erste Auflage 1990

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